Die Originalsprache des Textes ist Französisch.
Wir stellen mit Bestürzung fest, dass bei uns in der Schweiz wie auch anderswo in Europa die Not und Armut zunehmen. Die Schlangen vor den Suppenküchen und Lebensmittelausgabestellen werden seit der Covid-Krise immer länger. Wie die Medien fragen auch wir uns nach den Ursachen und Lösungen für diese zunehmende Not.
Gleichzeitig will man uns glauben machen, dass eine drastische Erhöhung der Militärausgaben notwendig ist. Diesbezüglich werden weniger Fragen gestellt, als wäre es angesichts der aktuellen Bedrohungen normal. Die aktuellen Bedrohungen sind schnell identifiziert: Sie geht von Putin mit seinen Ambitionen eines grossen Russlands aus. Dies ist jedoch eine zu vereinfachte Sichtweise.
Zunehmende Militarisierung
Laut dem Forschungszentrum SIPRI in Stockholm sind die Militärausgaben in Europa und im Nahen Osten zwischen 2020 und 2025 beispiellos gestiegen [1] . Die Gründe für diese beunruhigende Entwicklung liegen auf der Hand: die Kriege im Nahen Osten und die Spannungen zwischen der NATO und Russland, die mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine eskalierten.
Die Behauptung, dass bewaffnete Konflikte die Aufrüstung ankurbeln, ist richtig – aber das gilt auch umgekehrt. Damit ein Krieg begonnen werden kann – entgegen der landläufigen Meinung bricht ein Krieg nicht einfach aus, sondern wird ausgelöst! –, braucht es militärische Mittel: Waffen, Personal, Logistik. Die Rüstungsindustrie wird von einer riesigen Schattenindustrie gespeist, die wenig bekannt und kaum dokumentiert, aber extrem mächtig ist und weder der Demokratie noch einer verbindlichen Kontrolle unterliegt.
Weltweit sind laut SIPRI die Militärausgaben zwischen 2023 und 2024 um 9,4 % auf 2718 Milliarden Dollar gestiegen. Es versteht sich von selbst, dass die Militärausgaben auf allen Kontinenten steigen. Es ist wie eine Pandemie.
Diese Zahlen sind gigantisch, sagen aber nicht viel aus, da es sich um unvorstellbare Summen handelt. Es ist daher sinnvoll, sie mit den Ausgaben für Gesundheit, Bildung oder Klimaschutz in Beziehung zu setzen, welche ihrerseits bereits unzureichend sind, stagnieren oder gekürzt werden. Bei der Frage nach Prioritäten liegen die aktuellen eher auf dem, was Krieg ermöglicht, als auf dem, was Gesundheit, Bildung, Klimaschutz und Schutz vor den Auswirkungen von Klimakatastrophen ermöglichen.
In den europäischen Ländern (OECD) beliefen sich die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit im Jahr 2018 auf 8,8 % des BIP. Aktuell liegen die Ausgaben bei fast 10 %, der Anstieg ist jedoch zum Stillstand gekommen, und es wird darüber diskutiert, sie unter dem Druck der Militärausgaben wieder zu senken. Was die Bildung betrifft, so gaben dieselben Länder bisher etwa 10 % ihres BIP dafür aus. Allerdings ist laut OECD der Anteil an den Gesamtausgaben für die Bildung zwischen 2015 und 2022 um 1 % gesunken, obwohl die realen Ausgaben für diesen Bereich gestiegen sind. Es liegt auf der Hand, dass sich dieser Rückgang angesichts der starken Erhöhung der Militärausgaben noch beschleunigen wird. Angesichts der Verschuldung der Länder bedeutet dies, dass die Mittel für Gesundheit, Bildung, Schutz vor den Folgen der Erwärmung der Ozeane und des Klimas sowie für die Landwirtschaft fehlen werden, ganz zu schweigen von der Kultur allgemein.
Der Mythos von Sicherheit und Bösartigkeit
Es ist klar, dass die weltweite Aufrüstung nichts mit Hass zwischen den Völkern zu tun hat, sondern mit dem bewaffneten Kampf um die Vorherrschaft auf den Märkten, in der Kultur, um Territorium oder Ressourcen weltweit. Hass ist das, was nach dem Krieg über Generationen hinweg bleibt, und nicht die eigentlichen Ursachen des Krieges. Was im Nahen Osten geschieht, ist ein schreckliches Beispiel dafür.
Was den Militarismus betrifft, so ist er nicht mehr in erster Linie, wie im 19. Jahrhundert, eine Begeisterung für Uniformen, Ehre und Disziplin. Militarismus ist ein Mythos, der der bewaffneten Sicherheit Vorrang einräumt und mit einer riesigen korrupten Maschinerie verbunden ist, die Wirtschaft, Politik und Kultur in ihren Dienst stellt. Militarismus stützt sich auf die weit verbreitete Überzeugung, dass das Sicherheitsgleichgewicht und sogar der Frieden mit militärischen Mitteln und durch Aufrüstung aufrechterhalten werden könne und müsse. In der Regel unterliegen diese Bereiche nicht dem demokratischen Prozess.
In der Schweiz kann zwar ein Referendum gegen die Finanzierung lanciert werden, aber die Rüstung selbst ist grundsätzlich nicht referendumsfähig. Es handelt sich also um ein undemokratisches System, das nach eigenen Regeln im Verborgenen und diskret operiert. Weder Staatsbeamte noch Waffenhändler und -händlerinnen mögen es, wenn über ihre Geschäfte gesprochen wird [2] . Die Machenschaften zwischen der sehr internationalen Rüstungsindustrie und den Regierungen finden im Verborgenen statt. Forschende auf diesem Gebiet sagen, dass die Rüstungsindustrie nach dem Drogenhandel der korrupteste Bereich weltweit ist. Es winken enorme Gewinne, sowohl für die Hersteller als auch für die Händlerinnen, Managerinnen und Zwischenhändler, die zuhauf vorhanden sind, um die Spuren zu verwischen. Die Staaten spielen eine würdelose Rolle, die ihren öffentlichen Forderungen und Behauptungen zuwiderläuft, da Richter und Richterinnen oft in den Waffenhandel verwickelt sind. In vielen Ländern Europas verbietet das Gesetz den Export von Waffen in Kriegsgebiete, aber durch zahlreiche Tricks und Absprachen wird das Gesetz ganz legal umgangen. So werden beispielsweise technische Güter, die als „Doppelverwendungsgüter” gekennzeichnet sind, unter dem Vorwand, für zivile Zwecke bestimmt zu sein, exportiert.
Nun muss man sagen, dass all dies funktioniert, weil unsere Gesellschaften nach wie vor die kriegerische Männlichkeit verehren und gleichzeitig behaupten, dass dies «leider notwendig ist, weil der Mensch von Natur aus böse ist». Eine gewisse theologische Neigung ist in dieser Argumentation unbestreitbar: «Der Mensch ist von Kindheit an böse» (Gen 8,21). Das ist eine Verkürzung, die Jesus umgekehrt hat. Auch wenn dies hier nicht unser Thema ist, bleibt doch festzuhalten, dass der Militarismus von dieser Tendenz durchdrungen ist und die menschlichen Anliegen wie das Gemeinwohl, die Armut und die Klimabedrohung verschlimmert. Er behauptet, dass Kriege unvermeidlich, ja sogar notwendig sind, und die Bereitschaft dafür finanzielle und wirtschaftliche Priorität hat. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Gleichberechtigung und die Armut weltweit.
Die erzwungene Aufrüstung
Ein kleines Buch der deutschen Theologin Dorothee Sölle trägt den Titel Aufrüstung tötet auch ohne Krieg. Dieses Buch, das mitten im Kalten Krieg geschrieben wurde, zeigt die verheerenden Auswirkungen des Militarismus auf globaler Ebene auf. Die Militarisierung und Aufrüstung weltweit wurde von den Grossmächten, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, vorangetrieben, die die Länder ihres jeweiligen Blocks unter Druck setzten, sich zu bewaffnen. Heute erpresst die USA die europäischen Länder, damit sie ihre Rüstungsausgaben erhöhen. Für die USA ist das natürlich eine Einnahmequelle, wie bei den Kampfflugzeugen, die die Schweizer Regierung unbedingt kaufen will.
Die menschlichen und sozialen Folgen
Der Waffenhandel und die Militarisierung tragen zur Zunahme von Unsicherheit und Armut bei. Die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die Wirtschaft haben sich seit 2008 verdreifacht [3]. Die Hälfte dieser Auswirkungen führt zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP), was in erster Linie die unteren Schichten betrifft, d. h. diejenigen, die weniger Zugang zu Dienstleistungen haben und benachteiligt sind. Es sind dieselben Schichten, die von den Staaten zum Militärdienst einberufen werden.
Die übermässige Militarisierung begann lange vor dem Krieg in der Ukraine. Sie ist Teil dessen, was zu seiner Vorbereitung beigetragen hat. Sie unterwirft ganze Bevölkerungsgruppen, von denen ein wachsender Teil von schlecht bezahlten Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie abhängig ist (ausser derzeit in Russland), einer makabren und korrupten Industrie. Für einige Grossinvestorinnen und ihre Makler, eine äusserst mächtige internationale Lobby, die in den Regierungen gut vertreten ist, ist die Militarisierung hingegen ein Glücksfall.
Die Militarisierung unserer Gesellschaften und unseres Planeten verschlingt immer mehr Ressourcen zum Nachteil derjenigen, die in prekären Verhältnissen leben, während die Armut zunimmt und die Kluft zwischen Arm und Reich immer grösser wird. Nach 1950 hat Europa in hohem Masse von Kriegen in anderen Teilen der Welt profitiert. Das wird künftig nicht mehr der Fall sein. Die ersten, die davon betroffen sein werden, sind benachteiligte Menschen, die am Rande der Armut leben. Die Schwere und Dringlichkeit der Klimakrise erhalten nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Dies wird sich erneut zuerst auf die in prekären Verhältnissen lebenden Bevölkerungsgruppen auswirken.
Fazit: Sicherheit neu denken
Auch wenn wir die Armut in der Welt nicht vollständig beseitigen können, wäre es doch möglich, sie zu verringern. Der aktuelle Trend und die Gewichtung der Militarisierung gehen jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Wir haben nur wenige Hebel, um die Situation zu ändern. Aber wenn wir bei Wahlen oder Abstimmungen unsere Stimme abgeben, müssen wir uns fragen, welche Politik ein Kandidat oder eine Kandidatin und deren Partei vertreten.
Wir kommen zurück zu Arundhati Roy, die in ihrem Buch Kapitalismus: Eine Geistergeschichte fragt: «Brauchen wir Waffen, um Kriege zu führen? Oder brauchen wir Kriege, um Waffenmärkte zu schaffen?»[4]
Ehrlich gesagt ist es ziemlich offensichtlich, dass eine Änderung des «Geschäftsmodells» erforderlich ist. Eine Wirtschaft, die nicht auf militärische Sicherheit ausgerichtet ist, sondern vielmehr auf Fürsorge, d. h. auf die Versorgung von Menschen in Not und das Gemeinwohl für alle. Unsere Budgetentscheidungen spiegeln unsere Grundwerte wider. Angesichts existenzieller Herausforderungen – wachsende Armut, Klimakrise, abgrundtiefe Ungleichheiten – wird es dringend notwendig, entschlossen für das Leben statt für die Zerstörung, für die Fürsorge für Menschen statt für die Vorbereitung auf den Krieg, für Investitionen in das Gemeinwohl statt in Instrumente des Todes zu entscheiden.

Autor: Hansuli Gerber ist aktiver Rentner in den Bereichen Frieden, Gerechtigkeit und Kreativität. Als Landwirt, Lehrer und Pfarrer arbeitete er in den 1990er Jahren mit dem Mennonite Central Committee (MCC) und in den 2000er Jahren für den Ökumenischen Rat der Kirchen zusammen. Der rote Faden in Hansulis beruflichem Leben ist das Bewusstsein für alltägliche Gewalt und die Prävention von Gewalt, sei es auf menschlicher, sozialer, politischer oder ökologischer Ebene.
Références
[1] Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), „Beispielloser Anstieg der weltweiten Militärausgaben mit einem Sprung in Europa und im Nahen Osten“, Pressemitteilung, 28.04.2025, https://www.sipri.org/sites/default/files/2025 MILEX PR FRE.pdf
[2] Siehe Anne Poiret, Mon pays vend des armes (Mein Land verkauft Waffen) (les Arènes, 2019). Auch als YouTube-Video verfügbar.
[3] Institute for Economics and Peace, Global Peace Index 2025, S. 46, https://www.economicsandpeace.org/wp-content/uploads/2025/06/GPI-2025-web.pdf
[4] Arundhati Roy und Juliette Bourdin, Capitalisme : une histoire de fantômes (Gallimard, 2016).


